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Der falsche Nordmann

Das erste Mal seit fünf Jahren haben wir wieder einen Tannenbaum (gehabt). Und weil wir ihn richtig genießen wollten, beschlossen wir, ihn nicht erst am Tag vor Heiligabend aufzustellen, sondern schon ein paar Tage vorher. Vor meinem geistigen Auge sah ich uns mit Axt und Säge durch einen verschneiten Winterwald stapfen und dort den perfekten Baum finden. Aber weil man auch hier in Schweden nicht so einfach in den Wald gehen und eine Tanne schlagen kann (also zumindest nicht wir), entschieden wir uns für einen der Baum-Verkaufsstände in der Stadt.

 

Ein Nordmann aus dem Süden

Dort standen auf der einen Seite die klassischen schwedischen Rödgranar, mit ihren feinen, kurzen Nadeln und dem buschigem Wuchs, auf der anderen Seite die Kungsgranar, die Königstannen, mit ihren etagenartigen Ästen und fleischigen Nadeln. In Deutschland heißen sie Nordmann-Tannen. Und genau so eine wollten wir. Denn wo, wenn nicht hier würden die Nordmänner frischer geschlagen und damit auch länger haltbar sein? Wir entschieden uns für ein Exemplar, das uns in Wuchs und Größe genau richtig erschien und ließen es uns ins Netz packen. Während mein Freund das Auto holte, fragte ich den Verkäufer, von wo in Schweden die Bäume denn kämen. "Die kommen gar nicht aus Schweden", sagte er. "Die kommen aus Süd-Dänemark". Ich zog erstaunt die Augenbrauen hoch. "Klima und Böden sind hier nicht gut genug für diese Tannen", erklärte der Mann weiter. In Dänemark gebe es stattdessen große Plantagen, auf denen die Kungsgranar angebaut würden. Ich war enttäuscht. Zumal wir gerade einen ziemlich stattlichen Preis dafür bezahlt hatten. Wer weiß, wie lange unser Exemplar schon unterwegs gewesen ist, dachte ich. 

Eine grüne, nadelige Bescherung

Um die Chancen auf möglichst lange Indoor-Haltbarkeit zumindest ein wenig zu erhöhen, schnitten wir zu Hause ein Stück Stamm ab. In Wasser stehend, würden die jetzt wieder offenen Kapillare im Holz den Baum noch mit Feuchtigkeit versorgen, hoffte ich. Dann trugen wir den Nordmann ins Wohnzimmer und stellten fest, dass er so eben hinein passte. Wie man sich doch verschätzte, wenn man die Bäume draußen, ohne räumlichen Vergleich sah! Ich begann mit dem Schmücken und stellte dabei schon einen erheblichen Nadel-Abwurf fest. Sicher Tannenbaum-Stress, dachte ich und holte den Staubsauger. Als alle Kugeln, Kerzen und Lichterketten schließlich untergebracht waren, sah unser Baum wunderschön aus. Und wie er roch! Dabei sollten Nordmänner doch eigentlich nicht riechen... Um ihn nicht zusätzlicher Wärme auszusetzen, zündeten wir die echten Kerzen erst an Heiligabend an und auch nur diejenigen, die in wirklich genügend Abstand von anderen Ästen standen. Ein zweites Mal am ersten Weihnachtstag. Am zweiten Feiertag fielen bereits bei der kleinsten Berührung so viele Nadeln ab, dass wir beschlossen, die Kerzen auszulassen. Und heute Nachmittag haben wir unseren ausgetrockneten Freund schließlich abgeschmückt und abgebaut, nach gerade mal einer Woche. Nächstes Weihnachten dann vielleicht doch lieber eine Rödgran aus Småland oder noch besser eine schwedische Schonung zum Selberschlagen.

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