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Bye, bye Bullerbü

Der Fotograf beugt sich über das Kamera-Stativ und richtet das Objektiv aus. Es ist Dienstagabend, kurz nach halb elf. Wir haben Kerzen und Laternen aufgestellt und im Haus die Lichter angemacht. Im Feuerkorb in der Mitte des Rasens brennt ein munteres Feuer. Der Abendhimmel geht von hellem Gelb, über Orange und Violett in ein dunkles Blau über. Die Bilder, die später im Schaufenster des Maklerbüros hängen werden, sollen den Eindruck vermitteln, daß man in unserem Garten den perfekten Sommerabend verbringen kann. Über eine Stuhllehne habe ich lässig ein Plaid platziert. Der Fotograf fragt, ob wir ein paar Bierfalschen auf den Gartentisch stellen können. Er ist begeistert von der Atmosphäre. Aber mein Herz wird schwerer und schwerer, je länger ich in der blauen Dämmerung stehe. Irgendwann muss ich weinen. Es ist der letzte Sommer in unserem Haus im Osten von Göteborg, wir haben uns entschlossen, Schweden den Rücken zu kehren. 

 

Kapitulation oder Neuanfang?

Wir haben lange darauf herum gekaut. Aber die ersten Zweifel kamen schon kurz nach unserem Umzug ins neue Haus. Unser neues Zuhause war wundervoll, daran lag es nicht. Es war vielmehr das ermüdende Gefühl, sich wieder in einer neuen Nachbarschaft einfinden zu müssen, Kontakte zu knüpfen. Wir mussten feststellen, daß es ungeheuer schwer war, Anschluss zu finden - außerhalb der Expat-Community. Die meisten Bekanntschaften mit Schweden blieben stets auf einem sehr freundlichen, aber oberflächlichen Niveau. Irgendwann hatten wir das Gefühl, daß es immer wir waren, die einluden, ohne daß etwas zurückkam. Das war mühsam und wir fühlten uns tatsächlich einsam. Es war dann der verkorkste Silvesterabend im Marstrander Havshotell, der uns den Entschluss fassen ließ, unsere Zelte in Schweden wieder abzubrechen. Der Abend, den wir uns als lustige Party vorgestellt hatten, an dem wir bestimmt neue, nette Leute kennenlernen würden und dann feststellen mussten, daß alle - außer uns - lieber unter sich bleiben wollten. So verbrachten wir den letzten Abend des Jahres 2019 vor allem damit, miteinander und über unsere Pläne für 2020 zu sprechen. Unsere Soll- und Haben-Liste am Ende dieses Abends war nicht sehr ausgeglichen und wir wussten, daß wir etwas ändern müssten, wenn wir beide glücklich sein wollten.

Nicht noch mal Winter in Westschweden

Das Wetter im vergangenen Winter tat sein übriges. Der mäßige Sommer hatte sich bereits Ende August verabschiedet und war in windiges, kühles Regenwetter übergegangen. Herbst und Winter blieben genau so: eine Aneinanderreihung von dunklen, nassen Tagen. Die Vitamin D-Tabletten, die wir regelmäßig nahmen, konnten die Winterdepression, die uns irgendwann beschlich, nur bedingt lindern. Ich dachte oft sehnsüchtig an die schönen, warmen Frühlingstage in der Schweiz oder Deutschland. Anfang März blühte dort schon alles, hier sah es noch braun und trostlos aus.

Wie sehr klimatische Bedingungen die Lebensqualität beeinträchtigen können, das haben wir schlicht unterschätzt. Und wenn Freunde oder Ex-Kollegen zu den Bildern auf Facebook oder Instagram schrieben "bei Dir sieht es immer aus wie im Urlaub", dann waren das stets Momentaufnahmen von schönen Tagen - und die konnte man im vergangenen Winter an einer Hand abzählen. 

Das Herz schreit bleib, der Kopf sagt geh

Wenn dann auch noch dauerhafte Unzufriedenheit im Berufsleben oder besser gesagt, im nicht stattfindenden Berufsleben dazukommt, dann sollte man schleunigst etwas ändern. Es war mir in den vergangenen zwei Jahren nicht gelungen, mit meinem Hintergrund als Redakteurin in oder um Göteborg einen festen Job zu finden. Ich war angewiesen auf die wenigen Stellen in internationalen, englischsprachigen Konzerne. Mein Schwedisch ist einfach nicht gut genug, um in journalistischen oder editorischen Jobs zu arbeiten. Dankbar ergriff ich die Möglichkeit, als Vertretungslehrerin an der Internationalen Schule zu jobben, bekam sogar einen Teilzeitvertrag. Doch der Vertrag endete vor den Sommerferien. Und so begann ich die ersten Bewerbungen zu schreiben. Unser Plan: Schweden vor dem nächstem Winter verlassen und vorher so viel im Land herumreisen wie möglich. 

 

Jetzt ist es Ende Juni und ich packe in Gedanken schon die ersten Kisten. Ab dem 1. September habe ich eine Festanstellung bei einem Unternehmen in Zürich - früher als gedacht. Inzwischen freue ich mich. Und ich freue mich, daß sich alle unsere Freunde freuen, daß wir zurückkommen. Als das Wetter im Mai und Juni plötzlich sonnig und warm wurde und die Natur überall ihre unfassbare Schönheit entfaltete, dachte ich, ich muss sterben. Ich verfluchte unseren Entschluss und versuchte, doch noch eine Lösung zu finden, daß wir bleiben könnten. Unser schönes Haus, unser wunderbares Zuhause, den Birnbaum im Garten, den herrlichen, wilden Wald, in dem ich jeden Tag mit Bella spazieren ging - das alles konnte ich doch unmöglich einfach zurücklassen. Auch jetzt, während ich das schreibe, werde ich furchtbar traurig. Aber ich weiß ich jetzt, daß es die richtige Entscheidung ist. Und ich bin dankbar für die Erfahrungen, die wir in Schweden machen durften, sie haben uns gezeigt, was uns wichtig ist im Leben.

 

Und noch sind wir ja hier.

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Kommentare: 8
  • #1

    claude (Mittwoch, 01 Juli 2020 20:33)

    sei nicht traurig. ❤️ du hast das alles erlebt. und jetzt kommt was neues. wie aufregend! toi toi toi, und noch viel spaß für die letzte zeit in schweden.
    voll doof, dass ich es nicht geschafft habe, mich rechtzeitig bei euch einzuladen...

  • #2

    Simone (Mittwoch, 01 Juli 2020 20:35)

    ...ja, das stimmt. Es wäre sehr schön gewesen, wenn Du vorbeigekommen wärest. Jetzt wird es ein bisschen knapp und danach musste auch noch in Quarantäne...

  • #3

    Lillers (Mittwoch, 01 Juli 2020 21:15)

    Du schreibst so schön über eine traurige Sache.... aber gut ist ja auch, dass der Weg von Göteborg nach Schweden wohlmöglich durch Baden-Baden führt. �

  • #4

    Nikola (Mittwoch, 01 Juli 2020 23:15)

    Ich kann mich nur anschließen, wunderschön und ehrlich und authentisch und gleichzeitig traurig.
    Am traurigsten ist, dass ich es bisher nicht zu euch geschafft habe. Ich will den Birnenbaum sehen!!! ❤️
    Schön, Euch bald wieder mehr ums Eck zu wissen!

  • #5

    Michael Lehmann (Mittwoch, 01 Juli 2020 23:52)

    Ich wünsche Euch, dass Eure Ehrlichkeit Und Eure offene Analyse und schwere Entscheidung bald belohnt wird ... Schweden wird Euch immer wieder locken ... die Schweiz ist wunderbar und Ihr werdet einfach Kurs halten müssen zwischen Herz und Verstand ... mir fehlt vieles aus unserer Zeit in Griechenland - entdecke aber viele neue Ziele und Wünsche von Deutschland aus und in der Heimat ! Alles Gute !

  • #6

    Christian (Donnerstag, 02 Juli 2020 10:59)

    Deine Zeilen haben mich berührt und Du hast diesen Prozess des Loslassens in Herz und Kopf wirklich schön und nachvollziehbar beschrieben. Wie grossartig, dass ihr bald wieder Schweizer Nachbarn und Freunde seid!

  • #7

    Laurenz Vietmeier (Donnerstag, 02 Juli 2020 13:25)

    Simone, trotz alledem, dass es für euch auch vllt ein Rückschritt oder eine Aufgabe ist, find ich es cool, dass ihr zurück nach Zürich kommt!! Auch wenn ich es nie nach Schweden geschafft habe, aber vllt klappt ja nach deiner Rückkehr mal wieder ein Kaffee/Lunch auf der Airport-Terrasse :) schönen Restsommer noch in Schweden :)

  • #8

    K (Donnerstag, 02 Juli 2020 13:54)

    Kuss!