· 

In 22 Tagen durch Schweden. Teil 1: Von Göteborg nach Västervik

Uns bleibt nicht mehr viel Zeit, um Schweden zu erkunden, bevor es zurück in die Schweiz geht. Wir haben uns deshalb vorgenommen, die Regionen zu bereisen, in denen wir bisher noch gar nicht waren. Zum Beispiel die Südost-Küste. Auch hier gilt natürlich: Der Weg ist das Ziel!

Hoch in den Norden? Rüber in den Osten oder doch lieber runter in den Süden? Wir müssen feststellen, daß wir außer Schwedens Westküste und dem Göteborger Umland noch nicht viel gesehen haben. Und sind unentschlossen, wie wir diese Lücken in der Kürze der Zeit sinnvoll füllen sollen. Weil alleine die Fahrt hinauf nach Nordschweden schon sehr viel Zeit in Anspruch nimmt und uns davon nicht mehr all zu viel bleibt, entscheiden wir uns für eine Kombination aus Ostküste und Südschweden: von Göteborg durch Småland nach Västervik. Endlich ist Herr Puch (unser Camper) gepackt und es kann losgehen!

Als ersten Zwischenstopp haben wir Jönköping eingeplant. Das liegt am Südufer des Vättern, Schwedens zweitgrößtem See. Dort wollten anhalten und ein wenig durch die Stadt bummeln. Aber als wir am frühen Nachmittag ankommen, regnet es aus grauen Wolken und wir beschließen, gleich weiterzufahren.

Wunderschön aber arschkalt

Nachdem wir anfangs immer per Google Satelite nach vielversprechenden Stellplätzen - bevorzugt am Meer, mitten im Wald oder an einem See - gesucht haben, hilft uns jetzt eine App dabei. Sie zeigt uns auf einer Karte reguläre Campingplätze, Parkplätze oder Orte irgendwo im Nirgendwo, an denen man mit dem Camper übernachten kann. Wir finden einige "wilde" Stellplätze an einem See südöstlich von Jönköping und machen uns auf den Weg dorthin - mitten ins Småland. Die Wiesen und Wälder sind durchzogen von kleinen Seen und verbunden mit schilfbewachsenen Kanälen. Wir fahren die auf der Karte angezeigten Stellen ab und entscheiden uns für einen Platz mit Abendsonne. Wir treffen noch einen anderen Camper, sind aber ansonsten ganz allein. Es ist Juli in Schweden, aber es fühlt sich wie Herbst an, die sommerlich warmen Tage vom Juni sind Geschichte. Es ist sehr windig und obwohl die Sonne scheint, müssen wir Pullover und Windjacke anziehen. Abends machen wir ein Feuer und grillen Würstchen an Holzspießen. Als wir später in den Camper kriechen, riechen wir, als wären wir gerade einem Hausbrand entkommen. Zum ersten Mal seit langem friere ich nachts in meinem Schlafsack und muss zur Leggins und dem Langarm-Shirt noch eine Fleecejacke anziehen. Bella, unserem Hund ist es auch kalt und sie quetscht sich zwischen uns und wärmt mich wie ein kleiner Ofen.

Am nächsten Morgen ist es immer noch zu windig und zu kühl, als das man in den See springen möchte. Wir machen uns einen Kaffee, verzehren ein kleines Frühstück, dann packen wir zusammen und rollen zurück in die Zivilisation. Auf dem Weg zur Hauptroute kommen wir zufällig (wie eigentlich immer bei Sehenswürdigkeiten) an der Kloster-Anlage von Nydala vorbei. Wir freuen uns, daß in zwanzig Minuten das Café öffnen wird und beschließen, so lange einen Rundgang zu machen. Leider ist von der ursprünglichen, mittelalterlichen Anlage nur noch die Kirche erhalten. Nydala, was auf lateinisch "Nova Vallis" und das wiederum "neues Tal" bedeutet, ist das älteste Kloster Schwedens. Es ist sozusagen die Dependance des bekannten Zisterzienser-Klosters von Clairvaux in Frankreich und wurde leider im 16. Jahrhundert erst geplündert und dann von dänischen Truppen niedergebrannt. Leider, weil neben der Kirche mit ihrem ungewöhnlich Turm nur noch der Klostergarten erahnen lässt, wie die gesamte Anlage einmal ausgesehen hat. Jetzt hat auch das gemütliche Café offen. Wir sind die ersten Gäste, ziehen aber trotzdem pflichtschuldig eine Wartemarke, wie man es in Corona-Zeiten jetzt auch in Schweden in etlichen Etablissements macht. Das Häuschen ist eingerichtet wie eine Puppenstube. Die Holztische und Stühle haben alle eine andere Form. Das gleiche gilt für das altmodische Geschirr. Schwarzweiß-Aufnahmen zeigen, wie Nydala in den 1920er Jahren ausgesehen hat. Die Luftaufnahmen scheinen eine große Attraktion gewesen zu sein, vor allen Häusern stehen Menschen und winken begeistert Richtung Himmel. Wir lassen uns unser zweites Frühstück schmecken. Ich habe mir ein Wiederbröd ausgesucht - eine aus Dänemark importierte Blätterteig-Spezialität, die mit Vanillecreme und Pecan-Nüssen gefüllt ist. Sie ist wunderbar knusprig und noch warm. Wir schauen uns dabei noch einmal die für heute geplante Route an und machen uns dann wieder auf den Weg Richtung Västervik.

Durch Astrid Lindgrens Welt

Je weiter wir Richtung Osten kommen, desto lieblicher und hügeliger wird die Landschaft. An unseren Autofenstern ziehen Wälder und Wiesen vorbei, unterbrochen von dunkelblauen Seen und Flüsschen. Hier und da liegt ein typisch falunrot gestrichener Hof mit strahlend weissen Giebeln und Fensterrahmen in der Sonne. Das ist die Landschaft von Michel aus Lönneberga und den Kindern von Bullerbü, von Pipi Langstrumpf und vor allem von ihrer Erfinderin Astrid Lindgren. Die weltbekannte Schriftstellerin wuchs in Vimmerby im Småland auf, eine Stunde von Schwedens Ostküste entfernt. Wie eigentlich immer realisieren wir das erst, als wir am ersten Schild mit der Aufschrift "Astrid Lindgrens värld" ("Astrid Lindgrens Welt") vorbeifahren. Es ist ein kleiner Attraktionen-Park mit Museum und Filmstudio, in dem die Besucher alles über die Kinderbuch-Figuren erfahren können. Wir halten dort nicht an, denn der Park ist wegen Corona ohnehin nur eingeschränkt geöffnet, doch wenige Minuten später entdecken wir auf einem Straßenschild den Abzweig nach KatthultWir schauen uns kurz an: Wollen wir Michel besuchen? Klar wollen wir! Wenn man - so wie ich - die Astrid Lindgren-Bücher und ebenso die Verfilmungen quasi inhaliert hat, muss man dort einfach hin. Gybbereds Gård, wie der Hof aus der Verfilmung von "Michel aus Lönneberga" in Wirklichkeit heißt, liegt etwas abgelegen, inmitten der småländischen Idylle. Auf dem Weg vom Besucher-Parkplatz zum Hof kommt uns ein kleiner, blonder Junge mit einem Holzgewehr entgegen. Ein anderes Kind trägt die typische Michel-Mütze und das blaue Hemd. Das alles kann man in einem kleinen Souvenir-Shop erstehen, neben allerlei  anderem Michel-Nippes. Zu sehen gibt es das rotweiße Wohnhaus, in dem Michel im Film mit seiner Familie lebt, das Häuschen von Knecht Alfred und Magd Lina, die Trissebude und natürlich den Tischlerschuppen. Mit den vielen, kleinen Holzfiguren auf den Regalen ist es das schönste Gebäude des Filmsets. Sofort höre ich die jähzornige Stimme von Michels Vater vor meinem geistigen Ohr: "Michel!!!!". Natürlich ist das Ganze ein Touristen-Magnet und eine Gelddruckmaschine. Vermutlich nur wegen der - zu diesem Zeitpunkt noch geltenden - Reisebeschränkungen für Schweden und der insgesamt unsicheren Lage wegen Corona ist es recht leer bei unserem Besuch. Trotzdem, für die Kinder - und auch für die meisten Erwachsenen - ist es ein Riesen-Spaß. Sie versuchen, mit altmodischen Holzstelzen über das Gras zu laufen, stehen schaudernd um die Grube, in der Michel mit einem Würstchen den vermeintlich Wolf fangen wollte oder können die Tiere von Katthult besuchen, denn der Hof ist bewirtschaftet. Wir steigen jedenfalls mit guter Laune ins Auto. "Michel!!!!" ruft uns Michels Vater hinterher... Jetzt wollen wir aber wirklich mal langsam Richtung Västervik fahren.

Västervik überzeugt uns nicht

Als wir dort eine gute Stunde später ankommen, bewölkt es sich, bleibt aber glücklicherweise trocken. Wir spazieren durch die seltsam aufgeräumte Innenstadt zum Hafen, wo jetzt, am Samstagnachmittag am meisten los ist. Als ob es Corona nicht gäbe, sitzen hier viele dicht an dicht in den Cafés mit Blick aufs Wasser. Västervik ist eine hübsche kleine Küstenstadt, aber weil ihr vorgelagert eine große Landzunge in der Ostsee liegt, fehlt mir die Weite. Man schaut über eine Art Kanal zur bewaldeten Insel hinüber und blickt auf einen dunkelgrünen Wall. Wir bleiben nicht lange und machen uns stattdessen auf die Suche nach dem Stellplatz, den wir für die kommende Nacht ausgewählt haben. Etwas ratlos stellen wir fest, daß die Stelle für Autos nicht erreichbar ist. Wir konsultieren unsere App, finden aber keine gute Alternative an der Küste und entscheiden uns deshalb, wieder ein Stück Richtung Inland zu fahren. Wir lassen die Regenwolken hinter uns und schlagen unser Lager schließlich am Hjorten auf, einem wunderschönen See, südwestlich von Västervik. Später werfen wir sogar noch die Angeln aus, haben aber keinen Erfolg. Es ist trotzdem ein toller Fleck und am nächsten Morgen traue ich mich sogar ins Wasser. 

Heimreise in drei Etappen

Als wir um kurz vor zehn unsere Sachen zusammengepackt haben, ist beim Camper auf der anderen Parkplatz-Seite noch kein Lebenszeichen zu sehen. Eine vierköpfige Familie kam noch recht spät am Vorabend und ging zeitig ins Bett. Wir wundern uns ein bisschen und machen uns fast schon Sorgen. Kinder schlafen doch sonst nicht so lange? Ob womöglich etwas passiert ist? Ich überlege, ob ich kurz an die Türe klopfen soll, mein Freund hält das aber für übertrieben. So fahren wir schließlich los und am nächsten Tag werde ich im Internet recherchieren, ob es vielleicht eine Familien-Tragödie am Hjorten gegeben hat. Hat es zum Glück aber nicht.

Wie so oft, wenn man auf der Heimreise ist, hat man nicht mehr viel Lust, noch irgendwo anzuhalten und etwas zu unternehmen. Der Tag fühlt sich schon nicht mehr so richtig wie Urlaub an. Bei uns ist es auch so, obwohl wir nur zwei Tage unterwegs waren. Aber weil uns zu Hause (außer Umzugskartons) nichts erwartet, versuchen wir, den Tag noch auszukosten. Zuerst brauchen wir ein zweites Frühstück und eine ordentliche Toilette und dann wollen wir weiter sehen. Unsere Wahl fällt auf den Drehort von "Wir Kinder von Bullerbü", er liegt quasi auf dem Weg. Das Filmset ist nicht ganz so spektakulär wie das von Michel, aber genauso idyllisch. Die drei ochsenblutrot gestrichenen Höfe werden privat bewohnt und man sieht die Bewohner gemütlich auf ihrer Terrasse sitzen. Ausser uns sind noch keine anderen Besucher da und das Hof-Café hat gerade erst geöffnet. Wir bestellen eine klassische Fika - Kaffee und Zimtschnecken - und genießen die Sonne. Bella rollt sich vor Wonne brummend über die Wiese.

Danach sind wir etwas unschlüssig, wohin es gehen soll. Noch mal Jönköping bei gutem Wetter? Oder doch lieber nach Hause? Weil wir am Vorabend keinen Erfolg beim Angeln hatten, suchen wir uns einen See nordöstlich vom Vättern. Er liegt dort auf einem eiszeitlichen Hochplateau und schon die Fahrt dorthin ist beeindruckend. Sie führt die letzten Kilometer über eine Schotterpiste durch einen lichten Kiefernwald. Die Bäume stehen dort in so regelmäßigem Abstand, als hätte ein Super-Pedant sie mit einem Lineal gepflanzt. Das letzte Stück müssen wir - die Ruten in der einen, die Hundeleine in der anderen Hand - zu Fuß gehen. Als wir endlich da sind und eine Fischerei-Tageskarte kaufen wollen, stellen wir fest, daß es nicht der richtige See ist und man dort nur Fliegenfischen darf. Wir können die Fische springen sehen, fluchen innerlich und montieren schließlich eine meiner selbstgebauten Fliegen an die Angel. Da sie für schwerere Blinker gemacht sind, funktioniert das Werfen mit der leichten Fliege nur bedingt. Auf der anderen Seite vom See sitzt eine größere Gruppe von Anglern. Ich habe das Gefühl, daß sie sich köstlich amüsieren. Genervt packen wir unser Zeug wieder zusammen. Und eigentlich wäre jetzt der Punkt an dem man sagen sollte: Komm, lass gut sein! Aber wir können nicht. Wir können doch diesen Camping-Trip nicht abschließen, ohne einen einzigen Fisch gefangen zu haben. Also noch ein Zwischenstopp, ein allerletzter, am Store Härsjön, kurz vor Göteborg. Um es kurz zu machen: wir haben auch dort kein Glück. Mehr noch, ich bleibe mit meinem Blinker zwischen den Steinen am Grund hängen und wir müssen die Leine kappen. Jetzt aber wirklich ab nach Hause!

Kommentar schreiben

Kommentare: 0