"Ihr müsst unbedingt ins Värmland", hörten wir immer wieder von Freunden und Bekannten, wenn wir von den Plänen berichteten, vor unserer Rückkehr in die Schweiz noch möglichst viel von Schweden zu erkunden. "Die Natur ist phantastisch dort", sagten sie. Es gebe endlose Wälder und unzählige Seen. Ein Eldorado für Kanu-Fahrer. Wir hatten zwar nicht geplant, ein Kanu zu mieten, aber dennoch klangen die Berichte vielversprechend. Und weil wir es Richtung Norden bisher nicht weiter als bis kurz vor die norwegische Grenze geschafft hatten, beschlossen wir, uns die Gegend auf der Karte genauer anzuschauen. Nach kurzer Recherche stieß mein Freund auf das Naturreservat Glaskogen. Das 28 Tausend Hektar große Gebiet liegt im Westen des Värmlandes und die Bilder, die wir im Internet fanden, sahen phantastisch aus: endlose, in der Sonne glitzernde Seen, dunkle Wälder, schroffe Felsplateaus, Menschen, die beim Sonnenuntergang am Lagerfeuer ihre frisch gefangenen Forellen brieten... Genau unser Ding, denken wir, packen Herr Puch und machen uns auf den Weg.
Der Camping-Geheimtipp, der nicht mehr geheim ist
Da wir an jenem Tag erst recht spät von zu Hause loskommen, haben wir uns als Übernachtungs-Stoppover unsere liebste Hideaway-Stelle am Äbyfjord ausgesucht. Die, an der wir zuletzt fast alleine waren und an der wir so wunderbar viele Makrelen gefangen haben. Doch als wir dort am Spätnachmittag ankommen, trifft uns fast der Schlag: Der Platz ist voll mit Campern! Wir überlegen kurz, ob wir wieder fahren sollen, wissen aber auf die Schnelle keine Alternative und entscheiden uns, zu bleiben. Dank Herr Puchs Geländegängigkeit finden wir eine kleine Parzelle, in der wir zwischen Felsen und Birken recht geschützt stehen. Am Abend kommen noch mehr Camper, wir zählen 20 Autos und Camping-Busse, plus Wanderer mit Zelten. Der Platz hat sich offenbar herumgesprochen. Immerhin: Ich fange tatsächlich eine Meeresforelle. Ich bin stolz wie Bolle! Der Fisch der 1000 Würfe geht mir tatsächlich an den Haken. Am nächsten Morgen machen wir uns - mit dem obligatorischen Café-Zwischenstopp - auf den Weg Richtung Nordosten.
Wunderschönes Dalsland - wir wären besser dort geblieben
Bei Tanumshede verlassen wir die Autobahn und fahren nun auf Landstraßen durchs Dalsland. Am blauen Himmel segeln ein paar weisse Wolken dahin und spiegeln sich im Wasser des fjordähnlichen Stora Le, an dessen Süd-Ende wir bei Ed stoßen - ja so heißt der Ort wirklich. Dort stocken wir spontan im Systembolaget unseren Alkohol-Vorrat auf, denn es ist Freitag und zu unserem perfekten Freitag gehört schon seit langem eine Flasche Cremant. Warum nicht auch, wenn man mit dem Camper unterwegs ist? Über eine Länge von 70 Kilometer zieht sich der schmale Stora Le von Töcksfors im Norden hinunter bis nach Ed im Süden. Der Ort hat einen großen Campingplatz am See, ist aber sonst recht unspektakulär - wir fahren deshalb gleich weiter. In Bengtsfors sehen wir Kanuten und Boote an einer Schleuse des bekannten Dalsland-Kanals warten und überlegen auf dem Höhenrücken zwischen Västra Silen und Östra Silen, ob wir vielleicht lieber an einem der beiden Seen übernachten sollen, so schön ist die Landschaft. Aber wir entscheiden uns, zum Glaskogen Naturreservat weiterzufahren.
Wo man den Wald vor lauter Bäumen nicht sieht
Als das erste Hinweisschild für das Reservat auftaucht, müssen wir von der asphaltierten Straße auf eine festgefahrene Schotterpiste abbiegen. Auf ihr geht es nun gut 20 Kilometer durch dichten Wald. Ich meine wirklich dichten Wald. Gelegentlich taucht links oder rechts ein See oder eine kleine Lichtung mit einem einsamen Gehöft auf, dann schließt sich die Wand aus Bäumen wieder. Was das Ganze so unwirtlich macht, ist, dass sich der Himmel mehr und mehr bezieht. Es ist, als wären plötzlich alle Farben aus der Landschaft verschwunden. Nur noch dunkelgrün und braun unter einem weißen Himmel sind übrig. Nach etwas mehr als einer halben Stunde Fahrt durch den eintönigen Wald erreichen wir das Örtchen Lenungshammar, das im Herzen des Reservates liegt. Dort gibt es eine Touristen-Information, ein paar Hütten und Campingplätze. Es herrscht Hochbetrieb, obwohl das Wetter in den vergangenen Tagen nicht besonders schön war. Camping zu Hause ist in diesem Sommer und zu Zeiten von Corona für viele Schweden die Alternative zu Fernreisen. Wir konsultieren unsere Stellplatz-App und finden einige Kilometer entfernt, an einem der größeren Seen, ein paar vielversprechende Stellen. Sie entpuppen sich als untauglich, eine liegt an einem vermutlich mückenverseuchten Schilfgürtel, die andere ist nur über einen aufgeweichten Waldweg zu erreichen. Wir sind schon ein bisschen genervt. Müde von der Fahrt, ausserdem wird das Wetter immer schlechter und es wäre gut, bald einen Platz für die Nacht zu finden. Notfalls müssen wir auf einen der Campingplätze.
Vielleicht muss man für die Wildnis gemacht sein...
Wenn man in Schweden mit dem Kanu von See zu See paddelt oder eine Mehrtages-Wanderung macht, findet man an vielen Orten hölzerne, flache Windschutz-Hütten zum Übernachten. Sie sind an einer Seite offen und haben ein herausgezogenes Dach, so daß man dort bei schlechtem Wetter in einem Schlaf- oder Biwak-Sack einigermaßen trocken bleibt. Auf unserer Suche nach einem Stellplatz kommen wir an einigen dieser Hütten vorbei, die meisten sind belegt. Wir finden schließlich einen kleinen, noch freien Parkplatz direkt am Wasser und beschließen, dort zu bleiben. Inzwischen hat der Wind aufgefrischt und die Wolken hängen tief. Laut der Wetter-App liegen wir genau auf der Grenze zwischen einem Regengebiet und der Sonnenseite des Sommers. Es sieht allerdings aus, als würde es jede Sekunde zu schütten anfangen. Meine Laune sinkt mit jedem Grad auf dem Thermometer. Es nervt mich, dass ich Mitte Juli lange Hosen, Pullover und Jacke tragen muss. Selbst der Hund möchte am liebsten im Auto sein. In dem diffusen Licht wirkt der Ort fürchterlich trostlos: das Seewasser ist bleigrau und am anderen Ufer blickt man auf eine undurchdringliche grüne Wand. Ich brauche jetzt dringen das Freitags-Getränk! Mein Freund hat inzwischen ein Feuer angemacht und ich bin wirklich dankbar dafür - meine Hände sind klamm und kalt vom Wind. Wir grillen Hotdogs über dem Feuer (dieses Mal haben wir sogar an die richtigen Toppings gedacht) und anschließend die Meeresforelle. Dank unserer Kühlbox, die wir am Zigaretten-Anzünder anschließen können, ist sie noch frisch und gut. Kersten wirft alles in die Flammen, was an losen, einigermaßen trockenen Ästen um uns herum liegt. Ich kann gerade noch die Ukulele vor ihm in Sicherheit bringen. Am Ende des Abends sieht der Wald um unseren Camper aus wie gefegt. Wir gehen stumm und ein bißchen missmutig mit Bella spazieren. Die Wetter-App sagt für den nächsten Morgen Regen voraus. Wir beschließen, den Abend draußen zu beenden und kriechen in den Camper. Nach den Erfahrungen der letzten Tour ziehe ich vorsichtshalber gleich schon alle warmen Sachen an, die ich zum Schlafen eingepackt habe. Das Rauschen der Bäume wiegt uns in den Schlaf. Das Prasseln des Regens auf unser Dach weckt mich am nächsten Morgen um sechs. Wir beschließen, die nächste Regenpause abzuwarten, dann schnell zusammenzupacken und loszufahren. Um halb neun sind wir auf dem Weg nach Hause. Dort scheint die Sonne.
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